München/Berlin – Von einem Glaukom oder Grünen Star sind in Deutschland über 900.000 Menschen betroffen. Unbehandelt schränkt die Augenerkrankung das Gesichtsfeld mehr und mehr ein und kann letztlich zur Erblindung führen. Hauptrisikofaktor ist ein erhöhter Augeninnendruck, daher zielt die Therapie darauf ab, ihn mit Augentropfen zu senken. Reicht die medikamentöse Behandlung nicht aus, stehen heute zudem mehrere operative Verfahren zur Verfügung. Welcher Eingriff für welche Patient*innen geeignet ist und warum dieser auch mit einer Operation des Grauen Stars kombiniert werden kann, berichtet eine Expertin auf der Kongress-Pressekonferenz der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) am 28. September 2023.
Mit rund 15 Prozent der Erblindungsfälle ist das Glaukom in Deutschland die zweithäufigste Ursache für den Verlust der Sehfähigkeit. Im Verlauf der Erkrankung gehen die Fasern des Sehnervs zugrunde, die das Sehsignal von der Netzhaut des Auges zum Gehirn leiten. „Der einzig momentan behandelbare Risikofaktor hierfür ist ein erhöhter Augeninnendruck“, sagt Professor Dr. med. Verena Prokosch vom Zentrum für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Köln. Ist der individuelle Augeninnendruck – das Gleichgewicht zwischen Kammerwasser-Produktion und -Abfluss – zu hoch, werden die empfindlichen Sehnervenfasern geschädigt. Wie empfindlich der Sehnerv ist, ist dabei individuell verschieden. „Dieser Prozess bleibt oft lange unbemerkt“, sagt Glaukom-Spezialistin Prokosch.
Ist das Glaukom erst einmal diagnostiziert, kann der schleichende Sehverlust heute gut aufgehalten werden. Dabei kommen in der Regel zunächst Augentropfen zum Einsatz, die den Augeninnendruck regulieren. „Im Praxisalltag und in Studien zeigt sich jedoch, dass mindestens die Hälfte der Patientinnen und Patienten die Tropfen nicht konsequent täglich anwendet“, betont Prokosch. Gelinge die medikamentöse Drucksenkung aus diesem oder anderen Gründen nicht, müsse der Augeninnendruck per Laser oder durch eine Operation in Schach gehalten werden.
Noch immer beobachtet die Kölner Augenärztin jedoch, dass diese Eingriffe, bei denen der Abfluss des Kammerwassers verbessert oder das produzierende Gewebe verödet wird, erst sehr spät im Verlauf der Erkrankung vorgenommen werden. „Hierzu tragen zum einen Vorbehalte der Patienten und Patientinnen bei, die zunächst ja keine Beschwerden haben und den invasiven Eingriff scheuen“, so Prokosch. Durch die Operation sei zudem keine Verbesserung des Sehvermögens zu erwarten, da einmal eingetretene Schäden nicht rückgängig gemacht werden könnten. Vorübergehend könne sich der Visus durch den Eingriff sogar verschlechtern.
Aber auch auf ärztlicher Seite müssen sich die Praktizierenden erst einmal einen Überblick verschaffen, zu welchem Zeitpunkt operiert werden sollte und welche Technik im konkreten Fall geeignet ist. „Denn mittlerweile stehen mehr als ein Dutzend verschiedene Operationsmethoden zur Senkung des Augeninnendrucks zur Verfügung – darunter etliche minimal invasive Verfahren, die den Abfluss des Kammerwassers durch die Implantation winziger Stents erleichtern“, berichtet Prokosch. Um den Überblick zu erleichtern, hat die Europäische Glaukomgesellschaft EGS nun ein Weißbuch zur operativen Glaukomtherapie erstellt, das in diesen Tagen veröffentlicht wird und Empfehlungen für die Wahl des individuell geeigneten Operationsverfahrens gibt.
„Fest steht jedoch, dass für Patientinnen und Patienten, die unter einem Grünen Star in mildem Stadium leiden, die Operation des Grauen Stars ein guter Zeitpunkt ist, um gleichzeitig einen minimal invasiven Glaukom-Eingriff vorzunehmen“, betont Prokosch. „Von einem solchen Kombinationseingriff, bei dem nicht nur die trübe Linse ausgetauscht, sondern auch der Kammerwasserabfluss durch einen Mikro-Stent verbessert wird, profitieren die Betroffenen deutlich.“ Im Ergebnis könne der Augeninnendruck zusätzlich um einige Einheiten reduziert werden, merkt die DOG-Expertin an. Andererseits sei es aber auch wichtig, bei fortgeschrittenen Fällen Operationsverfahren zu wählen, die den Druck noch stärker senken können – und so hoffentlich das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen können.
Über diese Möglichkeiten sollten Betroffene ärztlicherseits informiert werden – oder aber selbst aktiv danach fragen. Denn: „Hier besteht noch viel Aufklärungsbedarf“, resümiert Prokosch. Mit der Wahl des richtigen Operationsverfahrens zum richtigen Zeitpunkt und im richtigen Krankheitsstadium könne es der modernen Medizin jedoch gelingen, den Betroffenen deutlich mehr sehende Jahre zu schenken.
Bei Veröffentlichung Beleg erbeten.