Krankenhausreform, Ambulantisierung und MVZ-Regulierung: Selten hat die Gesundheitspolitik so viele Zukunftsthemen mit langfristiger Wirkung gleichzeitig bearbeitet wie derzeit. DOG-Generalsekretär Professor Dr. Claus Cursiefen spricht im Interview über die Sicht der Augenheilkunde auf die Reformvorhaben.
Das Interview ist im Oktober 2023 für den aktuellen DOG-Jahresbericht geführt worden.
Herr Professor Cursiefen, 2023 erfolgten in der Gesundheitspolitik unheimlich viele Weichenstellungen. Wie bringt sich die DOG für das relativ „kleine Fach“ Augenheilkunde in diese Thematiken ein?
Professor Cursiefen: Die Augenheilkunde wird von außen bisweilen als „kleines Fach“ verkannt. Wir behandeln jedoch Erkrankungen am wichtigsten Sinnesorgan des Menschen, da für ein selbstbestimmtes Leben gerade auch im Alter essenziell wichtig ist. Daher gehen die Aufgabe und Position der DOG über die rein numerische Bedeutung der Augenheilkunde hinaus. Das kommunizieren wir im Interesse unserer Patientinnen und Patienten und des
Faches immer wieder.
Die DOG spricht relevante Themen für die hochwertige augenärztliche Versorgung der Bevölkerung seit Langem aktiv in der Politik an. Insbesondere bei unserem jährlichen Parlamentarischen Abend treten wir direkt mit Mitgliedern des Bundestages in den Dialog. Wir unterhalten auch Kontakte zu Entscheidungsträgern in der Selbstverwaltung und den zuständigen Ministerien. Zusätzlich beteiligen wir uns mit Stellungnahmen und Pressemitteilungen aktiv am politischen Diskurs.
Im Jahr 2023 hat die DOG sich besonders aktiv in die Diskussion über die Reformvorschläge des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zur Ambulantisierung, zu Hybrid-DRGs und zur Krankenhausreform eingebracht. Um bei den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen mehr Gehör zu finden, arbeiten wir dabei koordiniert mit allen augenmedizinischen Verbänden, darunter Berufsverband der Augenärzte, Bundesverband Deutscher Ophthalmochirurgen, Deutschsprachige Gesellschaft für Intraokularlinsen-Implantation und Vereinigung ophthalmologischer Lehrstuhlinhaber, zusammen. Gerade in Zeiten des Wandels müssen wir unsere Präsenz in der Hauptstadt jedoch noch weiter verstärken und arbeiten daher an einem Konzept für eine dauerhafte Vertretung in Berlin.
Das zentrale Thema im Jahr 2023 war die Krankenhausreform, die das selbst erklärte Ziel hat, eine bedarfsgerechte, zukunftsfähige Versorgung in Deutschland zu etablieren. Wird dies für die Augenheilkunde mit den aktuellen Plänen Ihrer Meinung nach gelingen? Was ist aus Sicht der DOG bei der Ausgestaltung der Reform zu beachten?
Hinsichtlich der konkreten Auswirkungen aller derzeit laufenden Reformvorhaben ist es Stand Oktober 2023 kaum möglich, eine abschließende Bewertung vorzunehmen. Die zukünftigen Rahmenbedingungen und vor allem ihre Auswirkungen sind nur in begrenztem Maße bekannt. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass wir für die Augenheilkunde sowie für (Universitäts-)Augenkliniken grundsätzlich optimistisch in die Zukunft blicken können.
Die Ambulantisierung ist der zweite große Reform-Baustein und eng mit der Krankenhausreform verknüpft. Wie viel Ambulantisierung ist in der Augenheilkunde (noch) möglich?
Die Augenheilkunde ist ein Vorreiter in der Ambulantisierung und kann aufgrund ihrer eigenen Erfahrung aktiv zur aktuellen Diskussion beitragen. Wir behandeln einen Großteil unserer Patientinnen und Patienten ambulant, selbst in Augenkliniken sind es mehr als 85 Prozent. Bei der Kataraktoperation erfolgen sogar über 90 Prozent der Eingriffe ambulant. Unter allen Krankenhausbetten in Deutschland belegen Augenpatienten weniger als 0,4 Prozent der Betten. Diese Zahlen zeigen: Ambulantisierung ist für uns keineswegs eine Neuheit. Andere medizinische Fachgebiete sind in Sachen Ambulantisierung bei Weitem noch nicht so weit wie die Augenheilkunde.
Wir unterstützen die Bestrebungen des BMG, diese Entwicklung weiter voranzutreiben. Unser Ziel ist es dabei, Fehlentwicklungen zu verhindern, die durch ungeeignete Rahmenbedingungen ausgelöst werden könnten. Da die Augenheilkunde bereits so ambulant ist, müssen die Reformen zwischen verschiedenen Fachbereichen differenzieren und die beachtlichen Fortschritte der Ophthalmologie bei allen Entscheidungen angemessen berücksichtigen.
Welche Voraussetzungen muss eine Ambulantisierung aus Sicht der DOG erfüllen, die am Wohl der Patientinnen und Patienten orientiert ist?
Hierfür sind drei Aspekte von wesentlicher Bedeutung: Zentral ist, dass ambulante operative Eingriffe angemessen finanziert werden. Nur so lässt sich die Qualität der Versorgung aufrechterhalten. Das gilt für die Kosten der ambulanten chirurgischen Eingriffe selbst wie auch für die damit verbundenen (auch ambulanten) Vorhaltekosten. Dies betrifft insbesondere Schieloperationen, bei denen eine unzureichende Finanzierung zu Engpässen in der Versorgung führen könnte. Außerdem müssen Ärztinnen und Ärzte auch in Zukunft die Möglichkeit haben, Patienten stationär aufzunehmen, wenn medizinische und/oder soziale Faktoren dies erfordern.
Zweitens muss eine ambulante Nachbetreuung ohne Qualitätseinbußen gewährleistet sein. Dafür müssen Strukturen für die Behandlung postoperativer Komplikationen geschaffen werden, um die bestmögliche Patientenversorgung sicherzustellen. Der dritte und letzte Punkt betrifft Klinik-assoziierte Kompetenzstrukturen: Die Ambulantisierung darf solche bestehenden Strukturen nicht gefährden. Insbesondere bei seltenen und komplexen Erkrankungen hätte ein Abbau dieser Strukturen einen unwiederbringlichen Qualitätsverlust zur Folge. Dies könnte die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Multimorbiditäten, Kindern und anderen speziellen Bedürfnissen gefährden. Gemeinsam mit anderen augenärztlichen Verbänden setzen wir uns daher entschieden für den Erhalt der stationsassoziierten augenheilkundlichen Versorgung in Deutschland ein.
Der dritte und letzte Punkt betrifft Klinik-assoziierte Kompetenzstrukturen: Die Ambulantisierung darf solche bestehenden Strukturen nicht gefährden. Insbesondere bei seltenen und komplexen Erkrankungen hätte ein Abbau dieser Strukturen einen unwiederbringlichen Qualitätsverlust zur Folge. Dies könnte die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Multimorbiditäten, Kindern und anderen speziellen Bedürfnissen gefährden. Gemeinsam mit anderen augenärztlichen Verbänden setzen wir uns daher entschieden für den Erhalt der stationsassoziierten augenheilkundlichen Versorgung in Deutschland ein.
Mit Blick auf eine stabile ambulante Versorgung in der Augenheilkunde ist die Regulierung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in den Fokus der Öffentlichkeit
gerückt. Die DOG hat dieses Thema seit vielen Jahren immer wieder angesprochen. Wie bewerten Sie die aktuellen Pläne zur stärkeren Regulierung?
Die DOG hat sich bereits klar zur investorengesteuerten Medizin in der Augenheilkunde positioniert. Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass auch die Medizin ökonomischen Prinzipien folgt. Allerdings müssen wir exzessive Entwicklungen verhindern, insbesondere wenn sie zulasten der Patienten gehen – Stichwort „Rosinenpickerei“. Bei aller Spezialisierung müssen wir kritisch hinterfragen, wenn große Netzwerke in Investorenbesitz unverblümt darauf hinweisen, dass sie zum Beispiel Kinder nicht (mehr) behandeln. Falls dies aus ökonomischen Gründen erfolgt, wäre das nicht nur eine Verzerrung der Versorgung, sondern auch aus ethischer Perspektive in hohem Maße bedenklich. Wir sehen es auch kritisch, dass Renditen, die internationale Konzerne in der deutschen Augenheilkunde erwirtschaften, in erheblicher Höhe Finanzressourcen aus dem Gesundheitssystem abziehen. Daher fordern wir Transparenz für Patienten darüber, ob sie von einem Arzt behandelt werden, der in einer Praxis eines Konzerns angestellt ist, oder von einem unabhängigen Augenarzt. Das ist besonders wichtig, denn nur ein unabhängiger Arzt kann eine „unabhängige Zweitmeinung“ abgeben. Für die Versorgungsqualität unserer Patienten und ihre breite Wahlfreiheit ist es unerlässlich, dass junge Augenärzte die Möglichkeit haben, sich in freier Praxis niederzulassen. Monopolähnliche Strukturen behindern diese Freiheit.