München, Juni 2023 – Medizinprodukte auf den europäischen Markt zu bringen oder dort zu halten, ist mit dem Inkrafttreten der EU-Verordnung Medical Device Regulation (MDR) vor zwei Jahren deutlich aufwändiger geworden. In Anbetracht der strengeren Zertifizierungs- und Rezertifizierungsregeln haben einige Hersteller bereits angekündigt, etwa spezielle chirurgische Instrumente vom Markt zu nehmen. Auch in der Augenheilkunde müsse damit gerechnet werden, dass wichtige Produkte wie künstliche Augen oder Irisimplantate bald nicht mehr zur Verfügung stünden, warnt die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG). Bei der Umsetzung der MDR müsse daher dringend nachgebessert werden – die kürzlich erreichte Verlängerung der Übergangsfrist allein reiche nicht aus.
Die Sicherheit von Medizinprodukten und ihren Nutzen für Patientinnen und Patienten zu gewährleisten – das ist das erklärte Ziel der europäischen Medizinprodukteverordnung MDR, die im Mai 2021 in Kraft getreten ist. „Dieses Ziel unterstützen wir prinzipiell sehr, denn Eingriffe am Auge erfordern einen sehr hohen qualitativen Standard“, sagt Professor Dr. med. Claus Cursiefen, Generalsekretär der DOG und Direktor des Zentrums für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Köln. Als Medizinprodukte gemäß der MDR gelten Diagnosegeräte, chirurgische Instrumente und Laser, aber auch Kontaktlinsen, Implantate, Pflegeprodukte oder künstliche Tränen.
„All diese Produkte den neuen Regelungen entsprechend zu prüfen, überschreitet deutlich die Kapazitäten der behördlichen Stellen, die zur CE-Zertifizierung berechtigt sind“, kritisiert Cursiefen. Zum anderen seien die für den Marktzugang geforderten Nachweise oftmals nur schwer zu erbringen, so dass das aufwändige Verfahren sich für manche Hersteller schlicht nicht mehr rechnet. „Wir befürchten daher eine deutliche Verteuerung, oft sogar einen Wegfall von Produkten, ganzen Produktlinien oder Behandlungsmethoden“, sagt Cursiefen. Das würde den therapeutischen Spielraum in der Augenheilkunde deutlich einschränken – zulasten der Patientinnen und Patienten. „Darüber hinaus leidet letztlich auch der Forschungsstandort Europa unter solchen Einschränkungen“, so Cursiefen. Investitionen und Innovationskraft drohten abzufließen.
Um sich ein genaues Bild über mögliche Engpässe in ihrem Fachgebiet zu machen, hat die DOG in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) eine Umfrage gestartet. Augenärztinnen und Augenärzte können Medizinprodukte, von denen sie befürchten, dass sie knapp werden oder gar vom Markt verschwinden, an die DOG-Geschäftsstelle melden. „Erste Rückmeldungen aus Praxen und Kliniken zeigen, dass wahrscheinlich Augenprothesen und Irisimplantate von der MDR betroffen sein werden“, sagt Privatdozent Dr. med. Thomas Ach, stellvertretender Direktor der Universitätsaugenklinik Bonn, der die DOG in der AWMF vertritt. „Die Rückmeldung aus der Praxis ist essentiell, um drohenden Engpässen rasch entgegenwirken zu können“, betont Ach. „Wir rufen die ophthalmologische Gemeinschaft auf, sich an der Umfrage zu beteiligen.“
Um gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wie ein drohender Mangel abgewendet werden kann, steht die DOG im direkten Austausch mit den Herstellern augenheilkundlicher Medizinprodukte. Ein erstes Treffen hat im März stattgefunden, im September will man anlässlich der DOG-Jahrestagung wieder zusammenkommen. „Noch entscheidender ist, bei der Umsetzung der MDR nachzubessern, damit die Behandlung von Patientinnen und Patienten nicht beeinträchtigt wird“, fordern die DOG-Experten. Die kürzlich vereinbarte Fristverlängerung sei ein erster Schritt in die richtige Richtung. „Die DOG wird sich auch in Zukunft für weitere Anpassungen stark machen“, so Cursiefen und Ach.