In der internationalen Gesundheitspolitik und der deutschen Entwicklungszusammenarbeit liegt der Fokus vor allem auf Präventionsmaßnahmen. Dies zeigt sich beispielsweise bei Krankheiten wie der Kinderblindheit, denen durch Impfungen oder Vitamin-A-Gaben vorgebeugt wird. Allerdings kann man Augenerkrankungen wie grauen oder grünen Star nicht durch Prävention vermeiden. Nur eine frühe Diagnose und operative Eingriffe können betroffene Kinder vor dem Erblinden schützen. In einem Diskussionspapier der Leopoldina sprechen sich die beteiligten Autorinnen und Autoren deshalb dafür aus, in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sowohl auf die Stärkung der Kuration als auch weiterhin auf Prävention zu setzen; ein Ansatz, den sie als „Global Clinical Care” bezeichnen. Das Papier „Kinderblindheit im Fokus – Prävention und Kuration neu denken“ veranschaulicht diese Vorschläge an Praxisbeispielen aus dem südlichen Afrika.
Foto: Deutsches Komitee zur Verhütung von Blindheit (DKVB)
Weltweit sind zwischen 1 Million und 1,5 Millionen Kinder blind. Fast ein Viertel davon lebt in Afrika. Die häufigste Blindheitsursache ist dort der graue Star, der sich nur operativ behandeln lässt. Die Autorinnen und Autoren des Diskussionspapiers zeigen am Beispiel der Kinderblindheit, wie eine ausgewogene globale Gesundheitspolitik Prävention und Kuration verschränken kann, um positive Effekte sowohl auf die Lebenszufriedenheit als auch gesellschaftlich und ökonomisch zu erzielen. Sie stellen dar, welchen Verlauf der angeborene graue Star bei Kindern nimmt und wie durch gezielte Behandlung Kinderblindheit verhindert werden kann. Die Kinder können so eine reguläre Schule besuchen und später einen Beruf ergreifen. Im Diskussionspapier schlüsseln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf, wie sich Kuration somit auch auf das Bruttosozialprodukt auswirken kann und sich die Investitionen, die für den Aufbau der Krankenversorgung nötig sind, gesellschaftlich wie wirtschaftlich rentieren.
Der „Global Clinical Care“-Ansatz zielt darauf, vor Ort Strukturen zur Selbsthilfe zu schaffen. Am Beispiel der Kinderblindheit heißt das, die betroffenen Kinder frühzeitig zu identifizieren, lokale Versorgungskapazitäten zu stärken sowie das augenärztliche Fachpersonal weiterzubilden. Aus Sicht der Autorinnen und Autoren sind institutionalisierte Partnerschaften dafür ein zentrales Instrument. Im Diskussionspapier werden zwei Partnerschaften exemplarisch vorgestellt: eine Partnerschaft zwischen Rostock und Kinshasa/Demokratische Republik Kongo sowie eine Partnerschaft zwischen Tübingen und Blantyre/Malawi. Im Rahmen der Partnerschaften wurden Versorgungsstrukturen aufgebaut. Das Fachpersonal wurde einerseits vor Ort geschult als auch bei Aufenthalten in Deutschland. Diese langfristigen Partnerschaften haben das Potenzial, eine nachhaltige Gesundheitsversorgung vor Ort zu stärken, so die Autorinnen und Autoren. Sie empfehlen der Bundesregierung deshalb, im Rahmen der Fortschreibung der Strategie „Globale Gesundheit“ die Verschränkung von Prävention und Kuration stärker zu reflektieren und unter anderem ein Rahmenprogramm für die staatliche Förderung institutionalisierter Partnerschaften bereitzustellen.
Publikationen in der Reihe „Leopoldina-Diskussion“ sind Beiträge der genannten Autorinnen und Autoren. Mit den Diskussionspapieren bietet die Akademie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, flexibel und ohne einen formellen Arbeitsgruppen-Prozess Denkanstöße zu geben oder Diskurse anzuregen und hierfür auch Empfehlungen zu formulieren. Die in Diskussionspapieren vertretenen Thesen und Empfehlungen stellen daher keine inhaltliche Positionierung der Akademie dar.