Kinderblindheit in Afrika: Prävention allein reicht nicht
München, November 2025 – Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und internationale Gesundheitspolitik haben in der Vergangenheit einen Schwerpunkt auf präventive Maßnahmen wie Impfungen gelegt. Dabei ist die Behandlung von bereits eingetretenen Erkrankungen, die sogenannte Kuration, in den Hintergrund getreten. In einem Positionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina plädieren nun namhafte Augenärzt*innen und Wissenschaftler*innen aus dem Public-Health-Bereich dafür, Prävention und Kuration stärker zu vernetzen. Wie das gelingen kann, legen sie am Beispiel der Kinderblindheit in Afrika und bestehender Partnerschaften zwischen deutschen und afrikanischen Augenkliniken dar – ein Konzept, das die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft e.V. (DOG) ausdrücklich unterstützt. „Internationale Kooperation auch in der Augenheilkunde ist sehr wichtig und effizient“, sagt DOG-Generalsekretär Professor Dr. med. Claus Cursiefen.
Die kurz als Leopoldina-Diskussionspapier bezeichnete Veröffentlichung möchte Impulse für eine Neujustierung deutscher Entwicklungszusammenarbeit und globaler Gesundheitspolitik geben, wie es bereits im Titel heißt. „Gerade im Bereich der Ophthalmologie zeigt sich, dass Prävention und Kuration als Glieder einer gemeinsamen medizinischen Versorgungskette anzusehen sind“, sagt Leopoldina- und DOG-Mitglied Professor Dr. med. Rudolf F. Guthoff, der bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Augenheilkunde an der Universität Rostock innehatte und das Positionspapier mit verfasst hat, das am 4. November veröffentlicht worden ist. So sei Sekundärprävention – etwa die Identifizierung von Kindern mit Augenveränderungen – nur dann sinnvoll, wenn sich auch eine Behandlung anschließe. Nicht alle Krankheitsbilder seien zudem präventabel, und viele bereits eingetretene Erkrankungen ließen sich mit relativ geringem Aufwand erfolgreich therapieren. „Das aus den 1980er Jahren stammende und weit verbreitete Vorurteil, wonach Prävention für jede Erkrankung (kosten-)effektiver sei als eine kurative Behandlung, lässt sich daher nicht aufrechterhalten“, betont Guthoff.
Grauer Star ist die häufigste Erblindungsursache in Afrika
Wie wichtig ein Neben- und Miteinander von Prävention und Kuration ist, illustriert das Leopoldina-Papier am Beispiel der Kinderblindheit in Afrika. Als großer Erfolg der Prävention muss die nahezu vollständige Elimination der Hornhautblindheit gelten, die hauptsächlich auf die Versorgung mit Vitamin A und konsequente Masernimpfungen zurückzuführen ist. „Für die derzeit häufigste Erblindungsursache auf dem Kontinent, den grauen Star, gibt es jedoch keine Prophylaxe. Er lässt sich nur chirurgisch behandeln“, sagt Guthoff, der bereits seit 25 Jahren mit einer Augenklinik in Kinshasa eng zusammenarbeitet und dort sowie in Rostock kongolesische Ärztinnen und Ärzte ausbildet. Jedes Jahr kommen weltweit 20.000 bis 40.000 Kinder mit angeborenem grauen Star, einer Katarakt, zur Welt. Unbehandelt entwickelt sich ihr Sehsystem nicht richtig und sie erblinden irreversibel.
Mehr als die Hälfte der operierten Kinder schafft die Regelschule
Die heute als Routineeingriff geltende Katarakt-Operation, bei der die trübe Linse entfernt und durch ein Kunstlinse ersetzt wird, kann Leben verändern und Leben retten, wie Daten aus Kinshasa eindrucksvoll belegen. So konnte mehr als die Hälfte der dort operierten Kinder anschließend eine Regelschule besuchen, die übrigen konnten in einer Sonderschule für Kinder mit Sehschwäche beschult und damit ebenfalls auf ein produktives Erwachsenenleben vorbereitet werden. „Bereits eine rein ökonomische Betrachtung zeigt daher, dass die Intervention auf lange Sicht immer kostensparend ist“, betont Guthoff. Moralisch sei es ohnehin geboten, den vergleichsweise kleinen Eingriff vorzunehmen und den betroffenen Kindern eine neue Lebensperspektive zu eröffnen.
Grauer-Star-Operation verlängert die Lebenserwartung
Nicht zuletzt wirkt die Operation sich auch auf die Lebenserwartung aus: In Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen sterben bis zu 60 Prozent der Kinder im ersten Jahr nach der Erblindung; für das Projekt in Kinshasa gehen Schätzungen davon aus, dass durch die Katarakt-Operation die Lebenserwartung von zuvor 45 Jahren auf die für Augengesunde geltenden 63 Jahre ansteigt. „Hier zahlt sich jeder in die Kuration investierte Euro vielfach aus“, so DOG-Experte Guthoff, der mit seinen Mitautorinnen und Mitautoren die Bundesregierung dazu aufruft, bei der Fortschreibung der Strategie zur globalen Gesundheit auf eine ausgewogenere Balance zwischen Prävention und Kuration zu achten und gezielt kurative Strukturen zu stärken.
Klinikpartnerschaften sind sehr effizient
Wie Gelder der Entwicklungshilfe effizient eingesetzt werden können, zeigen die im Diskussionspapier vorgestellten ophthalmologischen Partnerschaften zwischen Rostock und Kinshasa und zwischen der Augenklinik Tübingen und der Kamuzu University in Blantyre, Malawi, die ebenfalls bereits seit 20 Jahren besteht. „Durch solche institutionalisierten Partnerschaften wird die örtliche Versorgung beispielsweise durch augenärztliche Weiterbildung gestärkt und darauf hingearbeitet, dass die Einrichtungen letztlich ohne externe Finanzierung betrieben werden können“, erläutert Guthoff. Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass diese Entwicklungszusammenarbeit eine Verankerung mit örtlichen Strukturen bedürfe, um nachhaltig wirken zu können. „Dafür wäre es sehr hilfreich, wenn das deutsche Entwicklungshilfeministerium solchen Kurationsprojekten direkt Gelder zuschreibt“, so der DOG-Experte.
Forderung: Abbau von Bürokratie, Aufbau kurativer Strukturen
Bislang werden solche Partnerschaften hauptsächlich aus privaten Spenden und Stiftungsgeldern finanziert. Auch hier wünschen sich die Autorinnen und Autoren mehr politisches Engagement, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch beim Abbau bürokratischer Hürden. „So können auf effiziente Weise kurative Strukturen etabliert und mit präventiven Ansätzen vor Ort verzahnt werden – ein Modell, das medizinisch notwendig, sozial geboten und ökonomisch tragfähig ist“, resümiert Guthoff.